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30 Jahre Naturnahe Waldwirtschaft in Gut Poitschach

Welche Potenziale bieten Biodiversität und CO2-Speicher ?

Freitag, 10. Juni 2022, Waldbetrieb Gut Poitschach, 9560 - Feldkirchen i.K.

Wenn man mit Eckart Senitza in den Wald geht, wird man schnell feststellen, dass die Erfordernis geländetauglicher Schuhe keine leere Vorwarnung ist: wer den Wald erleben, sehen und verstehen will, muss über Stock und Stein, durch Jungwuchsinseln und BHD-starke Speckkammern, durch Lücken, Schneisen und über eingewachsene Rückewege. Denn erst dort, abseits der großen Forststraßen, offenbaren sich die Vielfalt und die Tiefe eines Dauerwaldes.

Der seit über 100 Jahren im Familienbesitz befindliche, private Forstbetrieb „Gut Poitschach“ in Mittelkärnten umfasst rund 840 ha Wirtschaftswald in einer Höhenlage von 600 – 1.200 m. Die Waldbewirtschaftung ist dabei der wichtigste Betriebszweig im Rahmen eines gemischten Betriebes aus Wald- und Landwirtschaft, Jagd, Fischerei, Energieproduktion, Vermietung und Verpachtung, Holzhandel und –transport und einem Ingenieurbüro. Die lange Betriebsgeschichte und die Änderung der Rahmenbedingungen haben starken Einfluss auf die Waldentwicklung und –struktur ausgeübt. So waren vor 100 Jahren zuerst große Aufforstungen ehemals landwirtschaftlicher Flächen durchgeführt worden und in weiterer Folge Großkahlschläge zur Versorgung der damals eigenen Papierfabrik und Holzschleiferei. Heute werden jährlich zwischen 5.000 und 6.000 fm Holz eingeschlagen. Aktuell dominiert Fichte mit 74 %, aber auch Tanne, Kiefer, Lärche und vor allem Buche, Ahorn und Esche sind je Standortsverhältnissen überall beigemischt. Nach 50 Jahre Aufbaubetrieb ist inzwischen ein gut strukturierter, relativ vorratsreicher Waldbestand (rund 420 Vfm/ha) herangewachsen, der durch Kalamitäten gezeichnet (vor allem durch Windwurf und Schneebruch), aber vor allem unregelmäßig aufgelockert und so automatisch strukturiert wurde. Diese Zufallsereignisse wurden im Betrieb als Chance für natürliche Erneuerungs- und Differenzierungsprozesse gesehen und zum eigenen Vorteil genutzt.

Wo man sinnvoll faul sein darf und wo nicht

Zuwachs, Resilienz und sozioökonomische Aspekte – das zugrundeliegende Dreieck der Wirtschaftlichkeit eines Waldes zwingt zur Abwägung unterschiedlicher Erfordernisse für eine rentable Waldbewirtschaftung. Im Hinblick auf die steigenden Herausforderungen im Zuge des Klimawandels und dessen noch nicht vollständig bekannten Konsequenzen für das Ökosystem Wald setzt Senitza seit 30 Jahren mit einer naturnahen Dauerwaldbewirtschaftung lieber auf viele kleine Hebel als auf einen großen. Wesentlich für den Betrieb sind dabei drei strategische Ziele: Pflegekosten minimieren, Pflanzkosten vermeiden und qualitativ hochwertige Sortimente erzeugen. So geht es beim Betriebserfolg also nicht nur um den Deckungsbeitrag 1, sondern vielmehr um die Frage: Wann wird wo wie viel Holz entnommen, um die biologische Automation optimal für den Waldbewirtschafter arbeiten zu lassen?

Die Beachtung der Potentiell Natürlichen Waldgesellschaft (PNW) und der Standort sind bei dieser Art der Waldbewirtschaftung essentiell, denn nur die dort angepassten Baumarten können ihr wahres Potenzial ausschöpfen und abiotische Veränderungen zumindest zeitweise abpuffern. So ist eine funktionierende Naturverjüngung die Lebensversicherung des Dauerwaldes. Dass das Aufkommen der Naturverjüngung allerdings häufig nicht in den Händen des Waldbewirtschafters liegt, wird spätestens im Hinblick auf die neusten Ergebnisse des Wildeinflussmonitorings (WEM 2019-2021) deutlich.

Wie lang ist ein Baum Produktionsmittel und wann wird er zum Produkt?

Die Aussage, dass der Forstwirt vom Zuwachs und nicht vom Vorrat lebt, ist für Senitza zu kurz gedacht: so können insbesondere vitale starke Bäume mit freier, großer Krone immer noch hohe Zuwächse leisten. Von Umtriebszeiten kann im Dauerwald nicht gesprochen werden. Die Hauptaufgabe des Bewirtschafters liegt darin ein Gleichgewicht zwischen ausreichender Naturverjüngung, einer wartenden Unterschicht und vitalen Erntestämmen zu finden. Dafür sollte der Fokus bei der Auszeige auf den sogenannten „Sprintern“ liegen, also jene Bäume, die im Halbschatten gebremst wachsen. Sie stellen das Bindeglied zwischen erfolgreicher Verjüngung und erntereifen Stämmen dar und sind somit der Indikator für den zukünftigen potenziellen Wert des Waldes. Um eine quantitative Bewertung der Dynamik der Waldentwicklung im Dauerwald vornehmen zu können wurde ein außerdem ein 5 ha großer Revierteil als eine von insgesamt 18 Referenzflächen für Naturnahe Waldwirtschaft in ganz Österreich vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) als „Best-practice-Beispiel“ eingerichtet (Projekt: ReSynatWald 2.0). Alle 5 Jahre werden hier ertragskundliche, ökologische und ökonomische Daten erhoben und ausgewertet.

Inzwischen erntet Senitza in seinem Wald rund 80% Blochholz und blickt mit Optimismus in die Zukunft. Auf die Frage, welche Baumartenverteilung er in diesem Bestand in 100-150 Jahren erwartet antwortet er gelassen: „Vielleicht 10 Buche, 20-30 Tanne und der Rest Fichte – aber auch Bergahorn oder sogar Eiche ist möglich, wie wir in anderen Bestandesteilen sehen.“ Durch die Einzelstammnutzung werden Klimawandel und Borkenkäfer nicht per se als Bedrohung wahrgenommen, sondern als ständiger Impuls zur Veränderung betrachtet:  „Bei so viel Auswahl werden sich schon die richtigen Arten durchsetzen.

Mehr als Holz: der Wald als Arten- und Klimaschützer

Die natürlichen Stärken des Waldes zu nutzen und ihn so als ganzheitliches Ökosystem zu bewirtschaften heißt auch, Biodiversität nicht als Produkt des Waldes zu betrachten, sondern als Basis für das Wirtschaften im Wald. So gab Geschäftsführer von Birdlife Kärnten Dr. Andreas Kleewein einen Einblick in die Habitatqualität und –verbesserungsmaßnahmen für Vögel als natürliche Insektenvernichter. Die Formel dazu ist leicht: je größer die Anzahl an Vogelarten ist, desto strukturierter der Lebensraum und desto mehr Individuen sind vorhanden. Da das Bruthöhlenangebot in bewirtschafteten Wäldern allerdings eher gering ist, muss hier etwas nachgeholfen werden. Diesbezüglich wurden im Forstbetrieb vom Gut Poitschach nunmehr seit 50 Jahren viele Altbäume (insbesondere Eichen, Bergahorn, Kirsche und Eschen) oder Bäume mit besonderen Biotopbaummerkmalen als natürliche Habitatelemente im Wald belassen. Zusätzlich wurden im Revier schon vor über 30 Jahren Nistkästen entlang der Forststraßen montiert, um die Habitatdichte weiter zu erhöhen. Doch so schnell eine neue Vogelart aufgrund neugeschaffener Strukturen auftaucht, so schnell kann sie auch wieder verschwinden, wenn ebenjene Strukturen nicht gepflegt werden – diese Mehrarbeit wird aber natürlich durch eine reiche Vogelwelt und dessen positiver Einfluss auf die Biozönose belohnt.

Wald als CO2-Senke - Wie kann man das in Wert setzen ?

Wäldern kommt eine große Bedeutung bei der Bekämpfung des Klimawandels zu, da sie in der Lage sind Kohlenstoffdioxid (CO2) zu binden. Wie diese potenzielle CO2-Senke optimal und nachhaltig genutzt werden kann, ist momentan eine Leitfrage im forstwissenschaftlichen Diskurs. Inzwischen wächst auch die Bereitschaft privatwirtschaftlicher Unternehmen beständig, freiwillig für CO2-Kompensation zu bezahlen, um sich solche Klimaleistungen zertifizieren zu lassen. Ein Konzept, diese Nachfrage in Zusammenarbeit mit österreichischen Waldbesitzern zu bedienen wurde im Rahmen der Exkursion vom Start-Up „Tree.ly“ aus Vorarlberg vorgestellt. Auf der Grundlage eines berechneten Modellvorrates nach Ertragstafeln werden für den Waldbesitzer Zertifikate zur CO2-Kompensation durch ihren Wald an interessierte Unternehmen verkauft. Nicht unkritisch wurde am Forsthaus über die Gefahr des Greenwashings, aber auch über die hohe forstpolitische Relevanz dieser innovativen Idee diskutiert. So wies der Geschäftsführer des Forstvereins DI Martin Höbarth dezidiert darauf hin, dass die Gesellschaft bei der Reduktion von CO2 auf Landökosysteme – insbesondere Wald – angewiesen sind. Diese Notwendigkeit zusätzliches CO2 einzulagern, müsse als Klimaschutzleistung durch die Gesellschaft honoriert werden.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es an diesem Tag vor allem um eines ging: einen Raum für Diskussionen und Erfahrungsaustausch schaffen und d‘Leit zam zu bringn. Dass das am besten direkt vor Ort im Wald funktioniert, hat sich bereits bei unzähligen Pro Silva Exkursionen gezeigt und konnte sich nun auch in diesem Rahmen beweisen.

Artikel von Nastasja Harnack (Forstzeitung 7/2022)

 

 

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